Friedrich Oskar Giesel (1852 – 1927)
Pionier der Radioaktivitätsforschung
© Rudolf G. A. FrickeGiesel
wurde 1852 in Winzig geboren, einem kleinen Ort bei Breslau. Er studierte
Chemie, promovierte in Göttingen, war für mehrere Jahre wissenschaftlicher
Assistent an der Gewerbeakademie in Berlin und übernahm schließlich bei der
Braunschweiger Chininfabrik Buchler & Co eine Anstellung als leitender
Betriebschemiker. Er brachte die Chininproduktion des Unternehmens auf den
neuesten Stand der Verfahrenstechnik und sorgte für die Ausweitung der
Produktpalette. Zusammen mit seinem Hochschullehrer Liebermann lieferte er
einige fundamentale wissenschaftliche Beiträge über Chinin und Kokain.
1896
entdeckte der Franzose Henry Becquerel die Radioaktivität. Als die junge
Wissenschaftlerin Marie Curie zwei Jahre später darüber berichtete, dass sie in
Uranrückständen das bisher unbekannte radioaktive Element Polonium gefunden
habe, versuchte sich der Braunschweiger Chemiker und Extraktionsfachmann
seinerseits an der Darstellung des Poloniums. Ohne nennenswerte Probleme gelang es
ihm aus Rückstanden der Thoritverarbeitung, die ihm von der Hannoveraner Firma
de Haën zur Verfügung gestellt wurden, eine Substanz mit radioaktiven Eigenschaften zu isolieren. Allerdings war es
kein Polonium, wie er es erwartete. Wie sich wenig später herausstellte, hatte
er zur gleichen Zeit und unabhängig von dem Ehepaar Curie das Radium entdeckt.
Giesel
konzentrierte sich in der Folgezeit auf die Entwicklung eines industriell
einsetzbaren Verfahrens der Radiumgewinnung und brachte schließlich radioaktives
Material in den Handel. In überaus großzügiger Weise stellte er Wissenschaftlern
Präparate für ihre Forschungsarbeiten zur Verfügung.[1] Namhafteste
Wissenschaftler, darunter Otto Hahn, Stefan Meyer, Frederik Soddy und sogar das
Ehepaar Curie, gehörten zu seinen Kunden. Ernest Rutherford, eine Koryphäe
seiner Zeit, schrieb einmal über Giesel, dass er und die gesamte
fachwissenschaftliche Welt ihm für die Bereitstellung von radioaktivem Material
zu größtem Dank verpflichtet seien.
Friedrich Giesel lieferte aber auch seinerseits bedeutende Forschungsbeiträge.
Beispielsweise arbeitete er mit dem unterschiedlichen Durchdringungsvermögen und
der unterschiedlichen Reichweite charakterisierende Strahlungseigenschaften
heraus; mit dem Nachweis der magnetischen Ablenkbarkeit der beta-Strahlen schuf
Giesel die Grundlage zu ihrer Identifizierung als schnell bewegte Elektronen; die Elemente Actinon
(Radon-219) und Aktinium-X (Radium-223) sind von ihm entdeckt worden
und mit dem Franzosen Debierne stritt er um die Entdeckerpriorität des Elements
Actinium.
Eine andere Entdeckung Giesels war die Anregung zum Phosphoreszieren von Zinksulfid durch die Einwirkung von alpha-Strahlung. Das beobachtbare Szintillieren nutzte man dann beispielsweise zur Aktivitätsbestimmung radioaktiver Präparate. Giesel selbst führte die Entdeckung zur Erfindung einer selbstleuchtenden Farbe, indem er Radiumsalz mit Zinksulfid vermengte. Diese Radiumleuchtmasse fand dann unter anderem in der Uhrenindustrie Anwendung.
In aus heutiger Sicht als mörderisch zu bezeichnenden Selbstexperimenten hat Giesel auch Anteil an den Erkenntnissen zur Radioaktivität in Hinblick auf ihre physiologischen Wirkungen genommen. Als ihm irreversible organschädigende Wirkungen bewusst wurden, gab er Empfehlungen zum Umgang mit radioaktiven Stoffen heraus. Dazu gehörte, sich nur für die Dauer der durchzuführenden Arbeit in dem Labor aufzuhalten, bei der Arbeit möglichst dicke Lederhandschuhe zu tragen und beim Hantieren lange Pinzetten zu verwenden. In diesen Empfehlungen erkennt man Ansätze heutiger Strahlenschutzgrundsätze: Aufenthaltsdauer, Abschirmung, Abstand.
Aber der jahrelange ungeschützte Umgang mit strahlenden Substanzen forderte
schließlich seinen Tribut. Nach langem und quälendem Siechtum, zudem psychisch
gezeichnet vom frühen Tode seines von ihm innig geliebten Sohnes, ist er 1927 im
Alter von 75 Jahren verstorben. Ganz im Sinne seiner bescheidenen Lebensart
erhielt Giesel auf dem Braunschweiger Friedhof an der Helmstedter Straße ein
schlichtes Urnengrab. Erst 1955 stellte man einen Gedenkstein auf.
In
Braunschweig war Giesel zu Lebzeiten neben seinen Leistungen auf dem Gebiet der
Radioaktivität als ein vielseitig interessierter Wissenschaftler bekannt und
geachtet. Beispielsweise dürfte er mit zu den Ersten überhaupt gehört haben, die
sich mit der Farbfotografie beschäftigten.
Als sich die Nachricht von Röntgens
Entdeckung der köperdurchdringenden Strahlen verbreitete, baute er sogleich
eine Röntgeneinrichtung auf. Zusammen mit dem mit ihm befreundeten Zahnarzt Otto
Walkhoff fertigte er damit unter anderem Schädel- und spektakuläre
Zahnaufnahmen an.